Nicht einmal (fast) geschenkt: Wiesbadener Bürgerentscheid gegen Stadtbahn
Im „Traffic Index“, dem Stau-Ranking des Navigationssystemanbieters TomTom, landete Wiesbaden auf Platz 24 von 209 weltweit untersuchten Städten unter 800.000 Einwohnern. Unter den deutschen Städten belegte Wiesbaden den Platz 3. Schon wiederholt war versucht worden, durch Einführung eines neuen Bahnsystems zu einem höheren Anteil des ÖPNV am Modal Split zu kommen. Auch diesmal war daran gedacht, mit der CityBahn nicht nur das Wiesbadener Stadtgebiet zu erschließen, sondern neben der Reaktivierung der Eisenbahntrasse der Aartalbahn nach Bad Schwalbach auch eine Verbindung zum Straßenbahnnetz der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Mainz zu etablieren. Mainz, auf der anderen Rheinseite gelegen und immer schon mit engen Verkehrsbeziehungen nach Wiesbaden, hatte in den letzten Jahren sein meterspuriges Straßenbahnsystem stark erweitert. Dem Bürgerentscheid am 1. November 2020 ging ein scharf geführter „Wahlkampf“ um das Projekt, für das mit Kosten von 426,4 Mio. EUR gerechnet wurde, voraus. Die Projektbefürworter beklagten, dass die Gegner mit starken Übertreibungen und gezielten Falschinformationen Stimmung gemacht hätten. Für das Projekt hatten sich die meisten der amtierenden Politiker/innen auf kommunaler und Landesebene ausgesprochen. So warb etwa der hessische Verkehrsminister am 29. Oktober 2020 in einer Pressemitteilung für Zustimmung zu dem Projekt und wies darauf hin, dass der kommunale Anteil der Projektkosten nach Abzug der Bundes- und Landesmittel bei rund 44,4 Mio. EUR liege, von denen 28,8 Mio. EUR auf Wiesbaden entfielen. Dies sei „im Vergleich zu den unstrittigen Investitionen für Elektrobusse eine eher kleine Summe für die Stadt.“ Während das Abstimmungsergebnis in Wiesbaden insgesamt eindeutig ausfiel, auch wenn einige besonders unter Verkehrsproblemen leidende Stadtteile mehrheitlich für die Bahn stimmten, hatten die Menschen in Mainz, Bad Schwalbach und Taunusstein kein Stimmrecht. Der ausführliche Artikel über die CityBahn-Abstimmung in „stadtverkehr“-Ausgabe 12/2020 thematisiert daher auch das Dilemma großer Infrastrukturprojekte in Zeiten offenbar abnehmenden Legitimitätsglaubens im politischen System, für eine angemessene Entscheidungsgrundlage mit hohem Aufwand detaillierte Planungen erstellen zu müssen, während die Gegner oft fern der Fakten einfach gegenteilige Behauptungen aufstellen können, ohne sich für eine Beweisführung engagieren zu müssen.
Im „Wahlkampf“ im Vorfeld der Abstimmung lieferten sich Befürworter und Gegner der Citybahn eine Plakatschlacht. Aufnahme: Kyrieleis